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Pferde nicht vermenschlichen!

Oft bekommt man von Trainern zu hören, dass man sein Pferd nicht vermenschlichen soll, aber was bedeutet das genau? Es ist schließlich klar, dass wir uns schon optisch nicht ähneln und anders leben. Dies ist doch bereits rein äußerlich für jeden erkennbar.

Kaum einer kommt deshalb auch auf die Idee, sein Pferd im Haus zu halten und im Bett schlafen zu lassen. Aber worum geht es dann und in welcher Form neigen wir stattdessen dazu, unsere Pferde zu vermenschlichen? Geht es um die Leute, die Ihre Pferde ständig küssen und umarmen?

Ja, oft geht es den Trainern tatsächlich nur darum, aber eigentlich gibt es ein viel größeres und grundlegenderes Problem, dem man diesbezüglich Beachtung schenken sollte.

Ein Beispiel: Eine junge Frau reitet ihr Pferd und plötzlich macht es nicht mehr, was es soll. Es widersetzt sich der Reiterin. Diese wird wütend. Wie viele andere Reiter denkt sie: „Der zickt wieder rum, der will mich verarschen.“ Kurzerhand zückt sie die Gerte und straft.

Aber: Genau dann ist es passiert! Die Reiterin hat das Pferd vermenschlicht, indem sie ihm böse Absichten unterstellt, und die Sache deshalb persönlich genommen hat. Aber Pferde stehen nicht nachts in der Box und schmieden Pläne. Sie überlegen sich nicht, wie sie dem Reiter das nächste Mal eins auswischen können. Sie reagieren nur auf die Situation im aktuellen Moment.

Neigt der Mensch dazu, dem Pferd die gleichen Gedankenstrukturen zuzurechnen wie sich selbst, vermenschlicht er es. Tatsächlich tun wir besser daran, uns viel einfachere Gedankenstrukturen vorzustellen, wenn wir uns in ein Tier hineinversetzen.

Im folgenden möchte ich erläutern, wie Pferde im Gegensatz zu uns denken und lernen und am Beispiel zeigen, wie man sich das Wissen darüber im täglichen Umgang und Training zu Nutze machen kann. Denn, sich den Unterschied im Denken und Lernen immer wieder bewusst zu machen, bedeutet häufig den entscheidenden Schritt zur Lösung vieler Probleme.

Menschen schlussfolgern und generalisieren. Sie erkennen Muster und Regelmäßigkeiten und können diese oft sofort auf unbekannte Situationen übertragen. Menschen machen Zukunftspläne und spielen im Kopf verschiedene Möglichkeiten und ihre Auswirkungen durch, bevor sie handeln. Dem Menschen ist es möglich, allein durch Einsicht, also durch rein abstraktes Denken und ohne Ausprobieren oder Nachahmen, auf die richtige Lösung für ein Problem zu kommen.

Pferde sind ein bisschen anders. Sie nehmen viel mehr Details wahr als wir, können diese aber weniger gut gewichten. Sie denken nicht abstrakt und lernen deshalb hauptsächlich durch Versuch, also Erfolg, und Irrtum (auch Abgucken ist möglich, soll jedoch an dieser Stelle vernachlässigt werden). Pferde leben im Gegensatz zu uns weder in der Zukunft, noch in der Vergangenheit, für sie zählt der Moment. Trotzdem beeinflusst die Vergangenheit natürlich ihr Verhalten, wenn negative oder positive Verknüpfungen zu einer Situation in der Vergangenheit hergestellt wurden. Sie generalisieren also nur durch Verknüpfung von bereits gemachten Erfahrungen.

Was bedeutet dies nun genau für die Praxis?

Kommen wir zunächst zurück zu unserem Beispiel vom Anfang. Es gibt drei Gründe, weshalb das Pferd sich in der Situation widersetzen könnte:

1Es könnte einfach nicht verstanden haben, was die Reiterin von ihm möchte (z.B. war die Hilfengebung undeutlich, oder das Pferd auf diese Übung noch nicht ausreichend vorbereitet und somit überfordert).

2Es könnte daran liegen, dass die Reiterin nicht auf Ermüdungserscheinungen oder andere körperliche Probleme geachtet hat (z.B. sind die erforderlichen Muskeln übersäuert oder verspannt und bereiten dem Pferd Schmerzen bei dieser Übung).

3Der Reiterin ist es nicht gelungen, ihr Pferd ausreichend zu motivieren (z.B. weil das Pferd nie genügend Anreize bekommen hat, um mit dem Reiter zusammen zu arbeiten, oder die Übung bereits negativ verknüpft wurde).

Wenn ein Reiter das Pferd vermenschlicht, indem er davon ausgeht, dass das Pferd ihn einfach ärgern möchte und eigentlich genau weiß, was er will, nimmt er die Sache schnell persönlich. Er übersieht die tatsächlichen Gründe für die Verweigerung und geht dazu über, das Pferd für die „mangelnde Kooperation“ zu bestrafen. Er wird wütend auf das Pferd. Doch solche Gefühle haben im Tier-Training nichts verloren.

Denn was bewirkt die Strafe in einem solchen Moment beim Pferd?

Zu 1. Sollte das Pferd nicht mitgearbeitet haben, weil es nicht verstanden hat, was von ihm verlangt wird, wird es auch die Strafe nicht verstehen. Es wird den Menschen auf seinem Rücken für unberechenbar halten, das Vertrauensverhältnis leidet, die zukünftige Zusammenarbeit wird erschwert (außer das Pferd hat dies schon so oft erlebt, dass es sich in die sog. „erlernte Hilflosigkeit“ flüchtet, die jedoch sicher nicht erstrebenswert ist!).

Zu 2. Hat das Pferd Schmerzen und wird mit Gewalt in die Übung gezwungen, sind Verspannungen die Folge. Außerdem wird das Pferd eine negative Verknüpfung zu dieser Übung/Hilfengebung herstellen, da sie ihm Stress und Schmerzen bereitet hat. Die Übung wird dann beim nächsten Mal auch nur mit viel Druck und Gegenwehr ausgeführt werden können. Sie wird sicher auch nie so gut funktionieren, wie bei einem unbelasteten und entspannten Pferd.

Zu 3. Fehlte die Motivation, wird diese durch Strafe sicher nicht größer. Die Folgen können eine Mischung aus den bisher genannten möglichen Auswirkungen sein.

Wie wäre es richtig?

Unter allen Umständen sollte der Reiter möglichst ruhig und besonnen bleiben. Er sollte sich ein ums andere Mal vergegenwärtigen, dass das Pferd nicht mit Absicht gegen ihn arbeitet, weil es ihn etwa nicht leiden könnte oder weil es das so geplant hätte. Der Reiter muss sich von seiner Vermenschlichung trennen und stattdessen über den tatsächlichen Grund der Verweigerung nachdenken. Nur dann kann er angemessen und zielführend reagieren.

Hinsichtlich unseres Beispiels bedeutet das:

Zu 1. Die Reiterin überprüft noch einmal die eigene Hilfengebung, geht am besten einen Schritt zurück und wiederholt andere vorbereitende Übung.

Zu 2. Die Reiterin zieht einen Pferde-Osteopathen, einen Pferde-Physiotherapeuten, Tierarzt oder anderen Fachmann hinzu und stellt diesem das Pferd vor. Oder sie beendet die Trainingseinheit mit einer einfacheren Übung, um am nächsten Tag mit einem ausgeruhten Pferd neu zu beginnen.

Zu 3. Fehlt es an der notwendigen Motivation, ist davon auszugehen, dass das bisherige Training oder sogar der gesamte Umgang mit dem Pferd erhebliche Defizite aufweist. Hier wäre ratsam, dass sich die Reiterin intensiv mit den sogenannten Lerntheorien auseinandersetzt und vielleicht einen versierten Pferde-Verhaltensberater zu Rate zieht. Einem “widerständigen” Pferd geht es nicht gut!

Um als Reiter in belastenden Situationen ruhig bleiben zu können, ist es hilfreich, sich immer wieder bewusst zu machen, dass Pferde nun mal keine Menschen sind, dass sie anders denken und mitunter anders lernen. Sie arbeiten jedoch nie grundlos gegen uns. Und: sie sind fühlende Wesen, keine Maschinen!

Fazit

Nehmen Sie sich für das Training Ihres Pferdes viel Zeit. So können sie es bewusster umsetzen und Kurzschlussreaktionen vermeiden. Nicht zuletzt kommt man mit Geduld unterm Strich meist ohnehin viel schneller zu einem viel besseren Ergebnis.

Ganz gleich, ob Tiertrainer mit Hunden, Delphinen, Pferden oder anderen Tieren arbeiten und gleichgültig, ob sie Profi- oder Freizeit-Trainer sind: Die besten und erfolgreichsten Trainer sind diejenigen, die Fehler nicht beim Tier suchen, sondern bei sich selbst, und die ihr Training immer wieder kritisch unter die Lupe nehmen. Training kann optimiert werden. Ein Tier nicht.

Autorin

Svenja Vollbrecht

Svenja Vollbrecht ist ATN-Absolventin. Sie leitet eine Praxis für Pferdetraining und Verhaltenstherapie und hat das “Triple-E-Horseconcept” entwickelt, welches für Ethology, Education & Empathy steht, und worauf ihre ganzheitliche Arbeit mit Pferd und Mensch basiert. Ihre Homepage: www.triple-e-horseconcept.com.

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