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Hund: Hilfe, meine Hündin ist scheinträchtig 

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Scheinträchtigkeit oder Scheinmutterschaft: Der Unterschied liegt in den Hormonen. Foto: PicsbyFran/Pixabay

Scheinträchtig – ist sie das wirklich? Oder ist es eine Scheinmutterschaft? Sie hängen zusammen, aber es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen beiden: die beteiligten Hormone. Darum können welpenlose und sogar kastrierte Hündinnen Symptome einer Scheinmutterschaft zeigen, aber nicht die einer Scheinträchtigkeit. Aber nicht einmal Tierärzte unterscheiden hier immer richtig, sondern fassen alles unter Scheinträchtigkeit zusammen. 

Zunächst einmal: Weder das eine noch das andere ist krankhaft. Im Gegenteil. Es ist das Erbe der Vorfahren unserer Haushunde. Wölfe, aber auch andere Hundeartige (Caniden) sind Rudeltiere. Gibt es mehrere Wölfinnen in einem Rudel, pflanzt sich meist nur die ranghöchste Wölfin fort. Das wäre erst einmal ein Überlebensrisiko für die Welpen, denn wenn ihr etwas passiert, hätte das Rudel normalerweise keinen Nachwuchs. 

Die Natur hat sich eine Lösung für das Problem einfallen lassen und den Welpen dadurch sogar einen Überlebensvorteil verschafft: Die nicht tragenden Wölfinnen eines Rudels durchlaufen parallel zur tragenden Wölfin eine Scheinträchtigkeit und hinterher eine Scheinmutterschaft, etwa im gleichen Rhythmus wie die trächtige Wölfin. So können sie sich nach Geburt der Welpen an deren Pflege und Versorgung beteiligen, sobald die Mutter es zulässt. Auch ohne trächtig gewesen zu sein sind sie sogar in der Lage, die Kleinen zu säugen. Bei unseren Haushunden ist das selten nötig. Aber die Anlage dazu ist trotz jahrtausendlanger Domestikation erhalten geblieben.

Hormone, Hormone, Hormone

Verantwortlich sind zwei ganz unterschiedliche Hormone: Progesteron und Prolaktin. Progesteron (Gelbkörperhormon) ist das Schwangerschaftshormon. Es bereitet die Gebärmutter auf die Trächtigkeit vor und erhält diese aufrecht. Progesteron wird auch dann ausgeschüttet, wenn die Hündin während der Läufigkeit nicht tragend wurde, aber tragend sein könnte. Das ist der Grund für die ganz natürliche Scheinträchtigkeit (Pseudogravidität).

Nice to know: Gelbkörper (Corpus luteum)

Der Gelbkörper entsteht während des Eisprungs (Follikelsprung). Die reife Zelle verlässt den Follikel und durch Einfluss des Luteinisierenden Hormons (LH) entsteht aus dem Follikel der Gelbkörper. Er produziert Östrogen und zunehmend das Schwangerschaftshormon Progesteron, das die Schwangerschaft aufrecht erhält.

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Während der Scheinträchtigkeit können Hündinnen Mithunden gegenüber besonders kontaktreudig sein. Foto: sdnet01/Pixabay

Der hormonelle Zyklus der Hündin

Hündinnen werden ein- bis zweimal im Jahr läufig. Die Läufigkeit dauert etwa 18 Tage. Der Zyklus einer Hündin unterteilt sich in mehrere Phasen, die durch hormonelle Vorgänge gesteuert werden, und die wir hier der Übersichtlichkeit wegen in einer Tabelle zusammenfassen. Beteiligte Hormone:

  • Östrogen
  • Progesteron (Gelbkörperhormon)
  • Follikelstimulierendes Hormon (FSH)
  • Luteinisierendes Hormon (LH)

Über Scheinträchtigkeit und Scheinmutterschaft entscheiden die Hormone Progesteron (Scheinträchtigkeit) und Prolaktin (Scheinmutterschaft). Prolaktin hat mit den Geschlechtsorganen der Hündin nichts zu tun. Es wird nach der tatsächlichen oder scheinbaren Trächtigkeit von der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) ausgeschüttet.

Proöstrus
(Vorbrunst)
Dauer: ca. neun Tage 
In dieser Zyklusphase steigt die Produktion von Östrogenen durch die reifende Eizelle bis kurz vor Ende des Proöstrus an, fällt dann mit Beginn der Standhitze ab, während gleichzeitig der Progesteronspiegel ansteigt. 
Östrus
(Brunst/Standhitze)
Dauer: ca. neun Tage 
Die Östrogenproduktion sinkt, die Progesteron-Produktion steigt und die Eisprünge erfolgen. 
LH:
LH löst den Eisprung (Ovulation) aus. Vor der Ovulation gibt es um den zweiten Tag des Östrus ein LH-Maximum, etwa 36-48 Stunden vor der Ovulation. Innerhalb von 72 Stunden fällt er wieder auf den Basiswert. 
FSH:
Auch der FSH-Wert steigt in dieser Zeit, erreicht aber erst nach sechs Tagen wieder das Basisniveau. Ebenfalls bereits vor der Ovulation erhöht: der Progesteron-Wert.
Metöstrus/Diöstrus
(Nachbrunst)
Dauer: 90-120 Tage 
Das ist die Zeit einer möglichen (Schein-)Trächtigkeit. Tragend oder nicht spielt für den Hormonspiegel keine große Rolle. Die hormonellen Unterschiede sind gering. Progesteron dominiert.  Erfolgt eine Geburt, sinken Östrogen und Progesteron kurz zuvor sehr schnell. Ohne Trächtigkeit sinken sie langsam. Nach Rückbau der Gelbkörper kann es durch das Hormon Prolaktin auch ohne erfolgte Geburt zum Einschießen der Milch und zu Fürsorgeverhalten der Hündin kommen. Das ist die Scheinmutterschaft, die fälschlicherweise oft der Scheinträchtigkeit zugeordnet wird. Die meisten Hündinnen wechseln aber innerhalb weniger Tage in den Anöstrus. 
Anöstrus/Diöstrus
(Nachbrunst)
Dauer: 60-90 Tage 
Der Progesteronspiegel fällt sehr stark ab, Prolaktin, Östrogen, LH und FSH werden weiterhin unregelmäßig pulsierend ausgeschüttet.
Tabelle: Zyklus der Hündin

Scheinträchtigkeit

Auf die Standhitze (Östrus) folgt ohne Trächtigkeit eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Scheinträchtigkeit in der Nachbrunst (Metöstrus). Durch den Einfluss der Hormone kommt es bei der Hündin zu Verhaltensveränderungen, identisch mit denen, die durch eine Trächtigkeit hervorgerufen würden. Wie ausgeprägt sie sind, hängt von der individuellen Hormonproduktion ab. Das ist ein natürlicher Vorgang und daran ist nichts Krankhaftes. Die meisten Hündinnen werden

  • anhänglicher
  • kontaktfreudiger gegenüber Mithunden
  • kontaktfreudiger gegenüber ihren Menschen

Das wird oft als besonders liebebedürftig wahrgenommen. Manche werden aber auch stressanfälliger, können dadurch ängstlicher, einige sogar panisch reagieren. Verantwortlich für die Stimmungsveränderung ist die steigende Progesteron-Produktion bei sinkendem Östrogenspiegel. 

Progesteron hat eine starke Wirkung auf das emotionale Zentrum des Gehirns.  Es lässt Hündinnen ruhiger und vorsichtiger werden. Östrogen hat eine angst- und stresslösende Wirkung, die bei sinkendem (oder niedrigem) Östrogenspiegel zum Teil wegfällt. Zusammengenommen kann das angstverstärkend wirken und stressanfälliger und in diesem Zusammenhang auch verteidigungsbereiter machen.

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Prolaktin sorgt für Milcheinschuss, auch nach einer Scheinträchtigkeit. Foto: will30/Pixabay

Scheinmutterschaft

Das Verhalten in einer Scheinmutterschaft wird durch das Hormon Prolaktin gesteuert. das nicht in den Geschlechtsorganen, sondern wie oben schon erwähnt in der Hirnanhangdrüse (Hypophyse) gebildet wird.  

Die Scheinmutterschaft beginnt etwa acht Wochen nach dem Östrus. Das Gesäuge kann anschwellen und Milch kann einschießen. Viele Hündinnen zeigen jetzt mütterliches Fürsorgeverhalten:

  • Häuslichkeit
  • Nestbau
  • Hüten von (quietschenden) Gegenständen im Nest
  • Verteidigung der „Ersatzwelpen“
  • unkomplizierte Adoption fremder Welpen oder anderer Tiere

Sie erkennen es, oder? Es ist genau das Verhalten, was viele als Scheinträchtigkeit beschreiben. Solch eine Scheinmutterschaft kann auch durch äußere Faktoren ausgelöst werden (z.B. ein menschliches (!) Neugeborenes oder Welpen und andere Jungtiere im Haus). Selbst bei kastrierten Hündinnen kann es dazu kommen. Das entspricht der Situation in einem Canidenrudel nach Geburt der Welpen durch die ranghöchste Hündin. Die Rudeltanten können in der Versorgung der Welpen aushelfen, sobald die Mutterhündin es erlaubt oder wenn sie durch Abwesenheit, Krankheit oder Tod ausfällt. Dadurch haben die Kleinen eine größere Überlebenschance. 

Nice to know: Kastration und Östrogen

Bei einer Kastration wird die Östrogenproduktion heruntergefahren und dadurch fast auf Null gesetzt. Bis auf einen kleinen Prozentsatz, der nicht in den Eierstöcken (Ovarien), sondern in der Nebennierenrinde produziert wird. Damit entfällt bei kastrierten Hündinnen die stressdämpfende Wirkung des Östrogens, was ohnehin ängstliche Hündinnen noch ängstlicher, stressanfälliger und dadurch aggressiver machen kann.

Scheinträchtigkeit: Australian Shepherd Hündin mit Welpe Foto: Patricia Lösche
Hier erlaubt die auf dem Bild nicht zu sehende Mutterhündin der „Tante“, ihre drei Wochen alten Welpen zu inspizieren und sie zu pflegen. Foto: Patricia Lösche

Kastrieren oder nicht kastrieren?

Scheinträchtigkeit und Scheinmutterschaft sind im Paket „Hündin“ natürlicherweise enthalten und sollten als Aspekt der Hundehaltung akzeptiert werden. Behandlungsbedürftig sind sie nicht. Im Gegenteil. Wird das Verhalten medikamentös unterdrückt, kann es zur Überaktivierung des Stresssystems kommen und der Hormon“schuss“ geht nach hinten los. 

Immer wieder überlegen Hundehalter und Hundehalterinnen, ob sie ihre Hündin wegen stark ausgeprägter Scheinträchtigkeit kastrieren lassen sollen, weil sie denken, die Hündin leidet. Allerdings meinen sie damit meist die Verhaltensveränderungen während der Scheinmutterschaft, die durch eine Kastration nicht zwangläufig erreicht werden, wie wir gesehen haben.  

Es kann Gründe geben, die Hündin zu kastrieren. Zum Beispiel eine gegebene Anfälligkeit für die Entwicklung einer Gebärmutterentzündung (Pyometra). Die Verhaltensveränderungen in dieser Zeit rechtfertigen allerdings nur im seltenen Extremfall eine Kastration. Ohnehin sollte eine Kastration in jedem Fall in genauer Abwägung aller Vor-, und vor allem aber wegen der vielen Nachteile mit dem Tierarzt durchgesprochen werden. Seit erkannt wurde, welch weitreichende negative Konsequenzen die Kastration für Verhalten und Gesundheit von Hunden hat, ganz gleich, ob Rüde oder Hündin, sind Tierärzte zunehmend und zu Recht zurückhaltender geworden, was Kastrationen angeht. Tatsächlich ist eine Kastration ohne medizinische Notwendigkeit sogar tierschutzwidrig. Sie fällt unter Organentnahme und ist nur in Ausnahmefällen gestattet

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