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Das „nervige“ Pferd

Pferde sind wie Menschen. Es gibt Phlegmatiker, die stoisch vor der Kneipe stehen bleiben, während der Kutscher das Bier ablädt oder einlädt. Und es gibt Sensibelchen, die von jeder Butterblume, die gestern noch nicht dort aufgegangen war, in Angst und Schrecken versetzt werden. Zugegeben, mir sind die Sensibelchen lieber, sie lernen schneller – Gutes wie Schlechtes. Meine Enkelkinder würde ich allerdings für den Anfang lieber auf den Phlegmatiker setzen.

Gründe für nervige Pferde

Diese Eigenschaften haben sicher auch eine ganze Menge damit zu tun, wie „hoch im Blut“ das Pferd steht. Und manch Problem, mit dem Reiter und Pferd nicht fertig werden, hat seine Ursache schon in der Kaufentscheidung für das falsche Pferd. Je mehr der Reiter vom Pferd erwartet, und je mehr er dem Pferd geben kann, desto höher im Blut darf es stehen, desto sensibler darf es sein.

„Gutes wie Schlechtes“ habe ich oben geschrieben. Die schnell gelernte Lektion freut den Reiter, die ebenso schnell gelernte Unart nervt ihn, und ebenso schnell wird dann die Schuld beim Pferd gesucht. Wie aber weiß das arme Tier, dass es die eine Hilfe befolgen, die andere falsche und ungewollte aber ignorieren soll? Und da haben wir schon die nächsthäufige Ursache für „nervende“ Pferde: Fehler des Reiters, die dieser selbst gar nicht merkt.
Angst, Unruhe, Erwartungshaltung und die Gedanken des Reiters übertragen sich wie durch einen Nervenkontakt unmittelbar und unmerklich auf das Pferd. Natürlich ist das kein Wunder, sondern der Reiter sendet Signale, die ein aufmerksames Pferd spürt. Ich brauche nur zu denken, dass sich angaloppieren will, schon springt mein Pferd an – und dann noch auf dem richtigen Fuß. Ich brauche aber auch nur misstrauisch zu gucken „Was raschelt denn dort im Gebüsch?“, schon spitzt mein Pferd die Ohren, verzögert den Schritt und versucht auszuweichen. Manchmal so heftig, dass der Reiter „die Erde küsst“, und schon hat das Pferd seinen schlechten Ruf weg.

Es gibt Dinge, vor denen fürchtet sich jedes Pferd zunächst. Weniger der riesige Mähdrescher, vor dem der Reiter zu zittern beginnt, eher dass kuschelige Lämmchen am Weidezaun nebenan. Das ist offenbar ein Rudiment aus der Urzeit, das an die natürlichen Feinde des Pferdes erinnert. Manche Pferde erschrecken einmal, vielleicht zweimal, dann haben sie begriffen, dass es ihnen nicht an den Kragen geht. Manche zögern selbst beim xten Anlauf noch und weigern sich standhaft, der Gefahr ins Auge zu sehen. Ein Sensibelchen erschreckt heftiger, aber begreift meist schneller.
Und würden Sie sich problemlos und ohne Protest in eine so enge Kiste einsperren lassen, wie es der Pferdeanhänger für das Pferd ist? Da muss man schon sehr stoisch sein – oder unendlich großes Vertrauen zu dem haben, der den Weg weist. Hier ist nicht „Ace“ gefragt, sondern Geduld, Geduld, Geduld. Peitsche und Besen oder der schnelle Joint mögen vielleicht für heute den Vorgang beschleunigen. Aber ich will ja öfter reisen, mit einem Pferd, das willig und nicht angstgepeinigt das Gefährt betritt.

Manche Notwehrmaßnahme des Pferdes stempeln wir schnell als „Unart“ ab. Warum wohl schlägt das Pferd mit dem Kopf? Weil es sich gegen die unbarmherzig harte Zügelhand wehrt, weil der Zahnwechsel schmerzt, weil die Trense zu kurz, das Sperrhalfter zu eng geschnallt ist, weil das Genickstück nach Sattelseife schreit, weil das Gebiss Haken und Kanten hat … „Ursache suchen“ heißt die Devise. Und wenn mein Scharfsinn nicht reicht, die Quelle des Übels zu entdecken, ist das Pferd noch lange kein „blöder Bock“.

Der fröhliche Buckler eines gesunden, lebensfrohen, jungen Pferdes, das sich freut, endlich die dunkle Box verlassen zu dürfen, ist strotzendes Leben. Wenn es den Reiter ängstigt, geben Sie der puren Lebensfreude doch ein paar Minuten an der Longe, sich auszutoben. Zurück in der Box wird’s wieder langweilig. Das Herdentier Pferd in enger Einzelhaft, gar ohne Sichtkontakt zu den Artgenossen, die es nur durch die Geräuschkulisse erahnt, ist arm dran. Und dann tut es das, was Nomadentiere nun einmal von Natur aus tun, es wandert. Zum Leidwesen des Besitzers immer im Kreis herum oder auf dem Fleck von einem Bein auf das andere. Boxenlaufe, Weben – aber wo soll es anders hin? Oder es rülpst seine Unlust in die Welt hinaus, was flugs zu verschärfter Einzelhaft führt, damit die anderen sich das nicht „abgucken“. Ob abgeguckt oder selbst entdeckt, die Frage ist so alt wie die nach dem Primat von Ei oder Henne. Der Kopperriemen, der das verhindern soll, ist Tierquälerei. Auch hier kann die Lösung nur im Hinterfragen der Haltungsbedingungen liegen.

Und das erfahrene Rennpferd weiß schon im Führring, dass gleich ein hartes Stück Arbeit wartet. Welch ein Wunder, wenn es sich dann plötzlich ziert, das Geläuf oder die Startbox zu betreten. Nur allzu schnell sucht der genervte Reiter oder Besitzer die Lösung für all diese Problemchen in der handlichen Tube mit dem Beruhigungsmittel Acepromacin, ein Phenothiazinabkömmling, der arzneimittelrechtlich für Menschen nicht einmal zugelassen ist. Darum darf es auch bei Pferden, die im Equidenpass den Eintrag „zur Schlachtung bestimmt“ haben, überhaupt nicht angewendet werden. Zudem hat es eine lange Liste von Gegenanzeigen und unerwünschten Nebenwirkungen, die immer wieder sträflich vernachlässigt werden, weil der „widerspenstige Zosse“ mit dem Mittel nun plötzlich zum Seelchen wird.
Kein Zweifel, solche Mittel gehören in die Hand des Tierarztes, und auch hier nur nach sorgfältiger Abwägung für besondere Situationen, nicht um dem Besitzer den Alltag zu erleichtern. Sie gehören nicht ins Handschuhfach. Auf dem Weg zum Turnier schon gar nicht. Beruhigungsmittel sind Doping, und die sind nach der LPO und Rennordnung verboten. Die fatale Entwicklung der Humanmedizin, die uns suggeriert, wir könnten jede Unbill des Lebens meistern, indem wir mit irgendeiner Chemikalie im Gehirnstoffwechsel herum fummeln, greift auch im Pferdesport erschreckend um sich. Ausrangierte Wurmmittel, Tuberkulosemedikamente, Schwefelfarbstoffe und Raketentreibstoffe wurden wegen ihrer dämpfenden, anregenden, angstlösenden oder gleichgültig machenden Eigenschaft zu Psychopharmaka umfunktioniert. Besteht ein Missverhältnis zwischen den Anforderungen der Umwelt und der eigenen Fähigkeit, mit ihnen fertig zu werden, kann doch die Lösung nicht darin bestehen, mit der rosaroten Brille des Pharmakons die Augen davor zu schließen oder die Anforderungen von mir fern zu halten. Ich muss daran arbeiten, sie zu bewältigen. Ansonsten wird meine Unfähigkeit, Konflikte und Probleme zu meistern, immer größer. Eine schiefe Ebene, die gesetzmäßig abwärts führt. Das gilt für Menschen und Tiere gleichermaßen.

Also nicht dämpfen und abschirmen, sondern aufbauen und die Nerven stabilisieren. Erst wenn alle vertrauensbildenden Maßnahmen, alles Streicheln der Seele, alles auf Verstehen und Begreifen und auf das mitspielen wollen Hinwirken nicht zum Ziel führt, dann kommt für mich die Hilfe der biochemisch-homöopathischen Schüßler-Salze zum Zuge. Dr. Schüßler war der Oldenburger Arzt, der die lebenswichtigen Mineralsalze in homöopathischer Aufbereitung in die Humanmedizin eingeführt hat. Ganz schnell haben auch die Tierärzte begriffen, dass was dem Menschen hilft auch für das liebe Vieh gut ist.
Unser Problempferd, von dem oben die Rede ist, bekommt zwei Mittel: Kalium phosphoricum D3 (Nr. 3) und Magnesium phosphoricum D3 (Nr. 7). Das essenzielle Mineral Kalium ist in den Nervenzellen ca. 40x höher konzentriert als in der Umgebungsflüssigkeit. Dieses Konzentrationsgefälle ist nötig für das so genannte Ruhepotenzial, die Fähigkeit der Nervenzelle, auch einmal zu all den Informationen, die ständig von den Nachbarzellen auf sie einprasseln, nein zu sagen. Und damit das Kalium dorthin gelangt, wo es erst seinen Zweck erfüllt, nämlich ins Innere der Nervenzellen, braucht es wiederum Magnesium.

Sie fragen nach dem „D3″ hinter dem Namen? Die homöopathische Aufbereitung erfolgt in Verdünnungsschritten jeweils 1:10, also dekadisch. Und D3 bedeutet, dass dieser Schritt 3x nacheinander ausgeführt wurde. Ein Gramm D3 enthält also ein tausendstel Gramm, oder ein Milligramm des Minerals. Homöopathika fallen ausdrücklich nicht unter die gesetzlichen und sportlichen Dopingeinschränkungen.

Ich gebe meinen Pferden, wenn sie denn zuviel Nerv zeigen, täglich ein- oder zweimal 5 Tabletten. Die meisten fressen die Tabletten, mit einer Handvoll Hafer in die leere Krippe gelegt, ohne Probleme. Treffe ich dabei auf einen „Rauspicker“, der mit Geschick die Tabletten ins Stroh befördert, löse ich sie mit lauwarmem Wasser auf und gebe sie mit einer Einwegspritze (ohne Kanüle natürlich) oder einer alten Wurmkartusche hoch auf die Zunge.

Autor: Hans Heinrich Jörgensen

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